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Böhmen liegt doch (nicht) am Meer

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Böhmen liegt doch (nicht) am Meer

Ausstellung an der VHS und dem Sprachenzentrum Oberpfalz

„Böhmen liegt nicht am Meer“ behauptet der mysteriöse Titel einer Ausstellung der Seliger-Gemeinde, die bis Ende März in der Aula der Volkshochschule Weiden-Neustadt läuft. Erst im Untertitel erfährt man Genaueres – es geht um „Wege sudetendeutscher Sozialdemokraten“. Zur Vernissage am 11. März traf sich das Publikum, Prominenz aus Politik und Kultur sowie die Studierenden des ersten Jahrgangs der Fachakademie für Sprachen und internationale Kommunikation (FAE 1), nach langer Corona-Abstinenz endlich wieder live und vertiefte sich beim anschließenden Empfang genussvoll in persönliche Gespräche.

Gute Laune nach der gelungenen Ausstellungseröffnung, von links: Tanja Fichtner (VHS), MdL Annette Karl, Herbert Schmid („Arbeit und Leben“ Weiden), Rainer Pasta (Ausstellungsbetreuer der Seliger-Gemeinde) und Lothar Höher (Bezirkstagsvizepräsident und Bürgermeister)
In einem Workshop mit Herbert Schmid lernten die Studierenden der FAE 1 Persönlichkeiten der sudetendeutschen Sozialdemokratie kennen

In einem Workshop, organisiert vom Geschäftsführer von „Arbeit und Leben in Bayern“, Herbert Schmid, hatten die Tschechisch-Studierenden der FAE 1 zwei Tage vorher Informationen zum Thema bekommen: zur wechselvollen Geschichte der deutschsprachigen Minderheit in den böhmischen Ländern, zum Kampf der Sozialdemokratie im Protektorat Böhmen und Mähren gegen die Nazis, zur Vertreibung der Sudetendeutschen und der daraus resultierenden schweren Belastung für das deutsch-tschechische Verhältnis. Die drei Stunden mit viel Input und einem Quiz auf der Spieleplattform „Kahoot!“ wurden einhellig gelobt und als zu kurz bezeichnet. Für gut befunden wurden auch die illustrierten Ausstellungsplakate mit ihren knappen zweisprachigen Texten und einem QR-Code für weitere Informationen.

Zur Vernissage begrüßte die Hausherrin Tanja Fichtner, Pädagogische Leiterin an der VHS, die Gäste. Bezirkstagsvizepräsident Lothar Höher, selbst in der Tschechoslowakei geboren, zeigte sich dankbar für die gelungene Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen, an der die Sudetendeutschen ihren Anteil gehabt hätten. Er wies auf die Vertreibung auch der Sozialisten und Kommunisten hin, die diese Behandlung aufgrund ihres Widerstands gegen die Nazis nicht verdient hätten. Höher lobte die dynamische Entwicklung der bayerisch-tschechischen Region, in der die Menschen trotz der Vergangenheit ganz selbstverständlich miteinander umgingen.

„Böhmen liegt im Herzen Europas“, erinnerte SPD-Landtagsabgeordnete Annette Karl; die Grundwerte dieses Europas seien derzeit durch den Krieg in der Ukraine bedroht. Karl warb dafür, die Geschichte der sudetendeutschen Sozialdemokraten für die jüngeren Generationen zu erhalten. Dafür leiste die Seliger-Gemeinde als Nachfolgerin der DSAP (Deutsche sozialdemokratische Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik) mit dieser Ausstellung einen wertvollen Beitrag. Karl stellte den Lebenslauf Volkmar Gaberts vor,  den sie als aufrechten Demokraten und Bayerns bisher erfolgreichsten SPD-Vorsitzenden würdigte.

Herbert Schmid von „Arbeit und Leben in Bayern“ enthüllte in einem Dreiklang das literarische Geheimnis um den Titel der Ausstellung. Der Spruch „Böhmen liegt am Meer“ gehe zum Ersten zurück auf ein Zitat in Shakespeares „Wintermärchen“ aus dem Jahr 1611 und werde von Ingeborg Bachmann in ihrem gleichnamigen Gedicht 1964 wieder aufgenommen. In diesem Zusammenhang stelle sich zum Zweiten die Frage nach dem tschechischen Gruß „Ahoj!“, auf gut Bayerisch „Servus!“: Stammt er von den Arbeitern im noch heute existierenden tschechischen Moldauhafen in Hamburg, einem Relikt des Versailler Vertrags nach dem Ersten Weltkrieg? Oder doch von den tschechischen Kanuten Anfang des 20. Jahrhunderts? Oder ist er letztlich eine Verschleifung des religiösen Mottos „Ad honorem Jesu“ („zu Ehren Jesu“)? Man wisse es nicht. „Das Meer kennt keine Grenzen“, resümierte Schmid zum Dritten und appellierte an die Anwesenden, zugunsten der europäischen Verständigung auf nationalistische Ansätze zu verzichten.

Andrea Hielscher