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Rettung der „ertrunkenen Würstchen“ in einem solidarischen Europa

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Rettung der „ertrunkenen Würstchen“ in einem solidarischen Europa

„In Europa gibt es zwei Arten von Staaten – kleine und solche, die noch nicht wissen, dass sie klein sind.“ So formulierte Bernd Posselt seine eindringliche Aufforderung an die EU, in einer globalisierten Welt gegen die Großmächte zusammenzustehen und nationale Eitelkeiten zurückzunehmen. Der Europapolitiker und Vorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft, der sich selbst als „Wanderprediger in Sachen Europa“ und „Handlungsreisender in Sachen Völkerverständigung“ bezeichnet, war auf Einladung der VHS nach Weiden gekommen. Dort sprach er anlässlich des 30. Jahrestags des Mauerfalls vor den Tschechischklassen der Fachakademie, Vertretern der Partnerschule INFIS aus Pilsen und einer Integrationsklasse von Spätaussiedlern.

Posselt, Sohn eines aus dem Sudetenland stammenden Vaters und einer österreichischen Mutter, ist ein überzeugender Redner. Sein großes Anliegen: ein geeintes Europa, das gemeinsam die großen Themen wie Migration, Sicherheit oder Klimawandel anpackt; denn die lassen sich längst nicht mehr auf nationaler Ebene lösen. Frieden und Demokratie seien nicht selbstverständlich und müssten angesichts der „Gespenster des um sich greifenden Populismus“ offensiv verteidigt werden. „Populisten sind Menschen, die auf komplizierte Fragen einfache Antworten geben – das kann nicht funktionieren.“

In einem spannenden Politkrimi ließ Posselt das 20. Jahrhundert in Europa Revue passieren: die Feindschaften zwischen den Völkern und zwei verheerende Weltkriege; die Visionen Richard Coudenhove-Kalergis, Gründer der Paneuropa-Union, zu einem geeinten Europa schon in den Zwanzigerjahren; die Teilung Europas nach 1945 und schließlich die dramatischen Ereignisse rund um den Fall des Eisernen Vorhangs. Beim Thema EU-Beitritt der osteuropäischen Länder rückte Posselt Grenzen in den Köpfen zurecht: „Wenn man sich bewusst macht, dass Prag westlich von Passau oder Wien liegt, dann sollte man nicht von ‚Ostererweiterung‘ sprechen, sondern mit den Worten Papst Johannes Pauls II. besser von einer ‚Europäisierung Europas‘.“

Europa als Gebilde von Nationalstaaten in den heute bekannten Grenzen zu sehen, sei zu kurz gedacht. Es gebe eine gewachsene gesamteuropäische Identität, die auf zwei Dreiklängen basiere. In der Spätantike hätten der christliche Glaube, die griechische Philosophie und das römische Recht Gleichheit aller Menschen vor Gott, Freiheit und gleiche Rechtsprechung gebracht. Im frühen Mittelalter hätten sich dann die großen Völker- und Sprachfamilien der Germanen, Romanen und Slawen etabliert.

Posselt rief dazu auf, die gewachsene europäische Lebensart zu pflegen, doch dabei den Blick auch über die Grenzen zu richten. „Was wäre ein ungarisches Gulasch ohne Paprika oder eine Pizza ohne Tomaten? Beides kommt aus Amerika.“ Für Heiterkeit besonders bei den tschechischen Gästen sorgte seine Rettung der „Utopence“, in Essigsud eingelegte „ertrunkene Würstchen“, vor der Brüsseler Bürokratie. Sie sollten aus hygienischen Gründen von den tschechischen Tresen verschwinden; man habe aber in letzter Minute eine Ausnahme erwirken können. Seitdem sind sie im „Verzeichnis der garantiert traditionellen Spezialitäten“ der EU aufgeführt und stehen weiterhin als Katerfrühstück zur Verfügung.

Auf das Schlussplädoyer für eine „stark und friedlich auftretende Europäische Gemeinschaft im Austausch mit den anderen“ reagierte das Publikum mit viel Beifall, und der eine oder andere ließ sich noch eine persönliche Widmung in das Buch „Bernd Posselt erzählt Europa“ schreiben.

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„Unter einem Dach“ ist Versöhnung möglich

Ein paar Tage vorher war in der VHS-Aula die Ausstellung „Unter einem Dach“ eröffnet worden. Verantwortlich dafür zeichnet die gemeinnützige Organisation „Antikomplex“ aus Prag, die sich Versöhnung und Völkerverständigung auf die Fahnen geschrieben hat. Die jungen Mitarbeiter verfolgten im ehemaligen Sudetenland die Geschichte von Häusern, die früher von Deutschen bewohnt wurden und heute Tschechen gehören. Inzwischen haben sich zwischen den alten und neuen Besitzern und ihren Familien Freundschaften entwickelt. Den Weg von der Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur erneuten Begegnung mit der alten Heimat schilderte Projektkoordinatorin Maja Konstantinovic bei der Vernissage mit sichtlicher Bewegung. Jeder der sieben liebevoll gestalteten Ausstellungstische dokumentiert mit Fotos, Texten und Alltagsgegenständen einen individuellen Weg der Versöhnung, der Hoffnung macht, dass auch im Kleinen Großes bewirkt werden kann.