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Das Geheimnis der Nebenstraße

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Das Geheimnis der Nebenstraße

DAS GEHEIMNIS DER NEBENSTRASSE – EINE SKIZZE

Blick auf die geheimnisvolle Nebenstraße

07.50 Uhr:     Ein Tag im Corona-Oktober 2020. Die ersten Schüler schlurfen ins Klassenzimmer, den Schlaf noch in den Augen und das heimische Bett schmerzlich vermissend. Die Fenster sind pandemiebedingt offen. Draußen herrscht Totenstille und drinnen hört man nur das Rascheln von Jacken und Rucksäcken.

08.00 Uhr:     Eine maskierte Lehrerin betritt das Klassenzimmer und schaltet erst einmal das Licht an, damit die Schüler nicht weiter im Dunkeln vor sich hinvegetieren.

Pünktlich zum Unterrichtbeginn hört man, obwohl die Nebenstraße eigentlich wenig frequentiert ist, das Rauschen vorbeifahrender Autos. Entweder wird sie als Hauptstraßenvermeidungsweg verwendet ODER die gegenüberliegende Regionalbibliothek hat mehr frühmorgendliche Besucher als bisher angenommen. Interessant, wenn man bedenkt, dass sie erst um 10 Uhr öffnet.

09.00 Uhr:    Der Schultag nimmt seinen Lauf und zum Rauschen der Straße gesellt sich nun immer öfter das Heulen einer Autoalarmanlage. Es gibt zwar Parkplätze in der Nebenstraße, trotzdem stellt sich die Frage, warum die Alarmanlagen so oft ausgelöst werden?!? Treibt hier ein Unhold sein Unwesen? ODER möchte uns die Autoindustrie einfach nur sämtliche Alarmtöne vorführen, die sie sich so ausgedacht hat?

10.00 Uhr:    Geduldig sitzen die Schüler ihre Zeit bis zur Pause ab. Die Autofahrer draußen haben nun kollektiv beschlossen, dass normales Autofahren langweilig ist. Es werden Manöver durchgeführt, die sich mehr als gefährlich anhören. ODER Bewohner des Nachbarhauses schauen bei geöffnetem Fenster sehr laut die Wiederholung des letzten Formel-1-Rennens an.

11.00 Uhr:    Die Schüler sind wach. In der Pause wurden wichtige und emotionale Themen angesprochen und nun sind alle bereit für den Tag. Es wird besser mitgearbeitet und die Lehrkräfte sind erfreut.

Das Fenster ist natürlich offen. Corona! Klar, wir leben in Deutschland und Ordnung muss sein. Aus diesem Grund beschließt die Straßenreinigung, dass in genau dieser Straße, gerade jetzt, die drei am Boden liegenden Herbstblätter stören. ODER ein schlecht bezahlter Stadtreinigungsarbeiter, der in seiner eigenen Schulzeit nicht gut behandelt wurde, gönnt auch niemand anderem eine schöne Schulzeit und die geöffneten Fenster brachten ihn auf eine Idee. Jedenfalls fährt dröhnend und quälend langsam eine Straßenkehrmaschine vorbei.

12.00 Uhr:     Es ist Mittagszeit. In den Klassenräumen wird zwar noch gearbeitet, aber die Menschen draußen (vermutlich aus dem Nachbarhaus) gehen mit ihren Hunden eine Runde Gassi. Leider haben die pflichtbewussten Tierfreunde verpasst, ihren Hunden das 5. Gebot („Du sollst nicht töten“) näherzubringen und so gehen die Tiere – je kleiner, desto heftiger – wütend und laut bellend aufeinander los. ODER bereits erwähnter Stadtreinigungsarbeiter sitzt in einem Campingstuhl unten auf der Straße und hat seine tragbare Stereoanlage mit der CD „Hundekämpfe“ auf volle Lautstärke gedreht.

13.00 Uhr:    Die Mittagspause ist vorbei. Die Schüler sind entweder hungrig oder wohlig satt, je nach momentaner Dicke des Geldbeutels. Es soll Menschen geben, die nachmittags frei haben, sich in ihre Autos setzen und bei lauter Musik mit heruntergekurbelten Fenstern durch Nebenstraßen mit ebenfalls offenen Fenstern fahren; dass dem wirklich so ist, lernen die Schüler an diesem Tag, als der aktuelle Sommerhit in ohrenbetäubender Lautstärke durch das Klassenzimmer dröhnt. ODER besagter Stadtreinigungsmitarbeiter hat Freunde. Freunde mit lauten Automusikanlagen.

14.00 Uhr:    Der Schultag ist fast vorbei und die Konzentration der Schüler lässt langsam nach. Doch das Leben in unserer Straße erreicht jetzt erst seinen Höhepunkt. Plötzlich schreien Männer in einer regionalen, selbst für Einheimische schwer zu entschlüsselnden Oberpfälzer Geheimsprache offenbar wütend klingende Worte von einem Gehsteig zum anderen, denn die Autos, die hier alle fünf Minuten mal mit 30 km/h entlangfahren, lassen ein Überqueren der Straße für eine gepflegte Unterhaltung natürlich nicht zu. Gerade wenn man denkt, dass der Streit nun vermutlich in einer Prügelei endet, versteht man plötzlich: „Ois kloar, sich di Dunnerschta!“ Entweder ist die Seitenstraße der ideale Platz, um lautstark normale Dinge zu diskutieren, ODER besagter Stadtreinigungsarbeiter hat noch mehr Freunde.

15.05 Uhr:    Der Schultag ist vorbei und voller Erwartungen gehen die Schüler hinaus, um sich das aktuelle Geschehen live anzusehen. Sie werden jedoch enttäuscht, denn in der Nebenstraße herrscht nun einfach – STILLE.

Janina Landstorfer, FAE 3